Krisenzeiten. Da zählt für Immobilieninvestments: Risikominimierung, Sicherheit, Zuverlässigkeit. Begehrtester Markt ist derzeit Deutschland. Aber bleiben nicht Chancen jenseits des Heimatmarktes ungenutzt? Ein Plädoyer für die Länder Mittel- und Osteuropas.
Bereits zum zweiten Mal innerhalb von 15 Jahren wurden unsere Nachbarn in Ost- und Südosteuropa ohne eigenes Verschulden von einer weltumspannenden Krise getroffen und in ihren dank niedriger Zinsen, überschaubarer Staatsverschuldung, stabiler Inflation und geringer Arbeitslosigkeit teils rasanten wirtschaftlichen Aufholbestrebungen zurückgeworfen. War es in den Jahren 2007 bis 2009 die Subprime-Mortgage-Krise, die die weitere Expansion des europäischen institutionellen RE-Marktes in Richtung Schwarzes Meer und Adria stoppte, so ist es diesmal die Covid-19-Pandemie.
Geringer Anteil
Der gesamte mittel- und osteuropäische Investmentmarkt erzielte 2020 bei einem Rückgang von rund 32% gegenüber dem Vorjahr mit knapp 10 Mrd. Euro nur noch etwa 3,5 % des gesamteuropäischen Transaktionsvolumens – inklusive Polen, das mehr als die Hälfte des mittel- und osteuropäischen Volumens beisteuerte. Ungarn, die Slowakei und Rumänien erreichten zusammen lediglich 2 Mrd. Euro – und damit nicht viel mehr als 10% dessen, was beispielsweise in den Niederlanden mitgewerblichen Immobilienkäufen beziehungsweise -verkäufen umgesetzt wurde.
Und gerade einmal 800 Mill. Euro, das sind etwa 0,25%, trugen die Länder Serbien, Bulgarien, Kroatien, Slowenien, Albanien und Montenegro kumuliert zum europäischen Gesamtergebnis bei. Ein guter Teil dieses sehr überschaubaren Investmentvolumens wird überdies von Investoren aus dem eigenen Land gestemmt. Dennoch ist das spürbare Desinteresse westlicher Investoren an den ost- und südosteuropäischen Märkten fatal. Wenn überhaupt, dann wird gegenwärtig praktisch ausschließlich in die besten Standorte und Gebäudequalitäten (Core und Core plus Assets) in den Hauptstädten investiert.
Doch ist ein Investment tatsächlich zu riskant? Schauen wir genauer hin: Gerade die Länder Mittel- und Osteuropas hatten in den letzten Jahren enorme Fortschritte bei der Umsetzung von Reformprogrammen zur Verbesserung der lokalen Marktverhältnisse gemacht. Die technische- und Verkehrsinfrastruktur wurden ausgebaut, die Marktteilnehmer agieren professionell und zuverlässig, die Kaufkraft der Bewohner ist gestiegen, viele Länder sind bereits Mitglieder oder zumindest Beitrittskandidaten der Europäischen Union und die allgemeine Transparenz im Geschäftsverkehr wurde deutlich verbessert.
Als Vorbild für alle anderen mittel- und osteuropäischen Volkswirtschaften dient Polen: Mit einer Arbeitslosenquote von 3,1% im Januar 2021 kann Polen faktisch Vollbeschäftigung vorweisen und liegt damit unter den 37 hoch entwickelten OECD-Staaten hinter Japan auf Platz 2. Beispiel Wachstum: Zwar ging das polnische Bruttoinlandsprodukt im Corona-Jahr 2020 erstmals seit der Weltfinanzkrise leicht zurück, jedoch ist ein Minus von 2,8% verglichen mit den – 8,3% in Frankreich oder –10,3% in Großbritannien als durchaus respektabel zu bezeichnen.
Die lokalen Immobilienmärkte haben überraschend flott und flexibel reagiert. Es werden nun verstärkt jene Flächen angeboten, die unter den neuen Rahmenbedingungen auch von internationalen Investoren noch nachgefragt werden: Lager,- Logistik- und Distributionsflächen in Grenznähe zum Westen und an ost- und südosteuropäischen Hauptverkehrsadern sowie flexible Büroflächen. Der Anteil von Logistik und Light Industrial am gesamten Transaktionsvolumen in CEE erreichte im ersten Jahresviertel 2021 bereits knapp 30%.
Die Büromärkte verzeichneten bei den Vermietungen in allen mittel- und osteuropäischen Hauptstädten im zweiten Quartal 2020 einen Rückgang zwischen 6% (Bratislava) und 60% (Bukarest). Im größten Büromarkt der Region, in Warschau, wurden im ersten Halbjahr 2020 rund 234 000 Quadratmeter angemietet, was einen Rückgang von rund 16% gegenüber dem Vorjahresvergleichszeitraum bedeutet. Trotzanders lautender Prognosen kam es bei der Errichtung von neuen Büroflächen aber vorerst zu keinem Stillstand. In Budapest wurden beispielsweise mit rund 133 000 Quadratmetern fast 320% mehr Flächen errichtet als im Jahr zuvor.
Sollte die Pandemie durch die umfangreichen Impf-Aktionen im weiteren Verlauf des laufenden Jahres unter Kontrolle gebracht werden können, so ist wohl in ganz Europa langfristig wieder mit einer Normalisierung der Immobilienmärkte zu rechnen. Während in West- und Nordeuropa speziell die Immobilienpreise der Assetklassen Wohnen und Logistik Höchststände erreichten und selbst in den von den Auswirkungen der Krise am unmittelbarsten getroffenen Assetklassen Retail und Hotels/Leisure bisher keine sogenannten „Stranded Assets“ oder gar „Fire Sales“, also Panikverkäufe, zu beobachten waren, sollten die Investoren auf der Suche nach attraktiven Renditen bald wieder ihren Horizont gen Osten weiten. Aber warum erst dann, wenn die Herde sich bewegt?
Man darf erwarten, dass die Immobilien-Investments in Warschau und Prag als erste mittel- und osteuropäische Städte nach der Pandemie zur Normalität zurückkehren werden. Warschau bzw. Polen insgesamt weisen sehr gute wirtschaftliche Kennzahlen auf und genießen nach wie vor ein gewisses Vertrauen der Investoren. Aus unserer Sicht ist die Gelegenheit günstig, in Mittel- und Osteuropa verstärkt als Käufer von Büroimmobilien aufzutreten. Zwar gibt es wenige echte „Schnäppchen“, aber der Wettbewerb ist deutlich geringer und einzelne Bestandshalter bekommen doch langsam Probleme mit ihren Banken und werden verkaufswilliger.
Die etwas weniger stabile wirtschaftliche Lage in Ländern wie Ungarn und Rumänien lässt die Erwartung zu, dass es im zweiten Halbjahr zu stärkerem Büroleerstand und höheren Verkaufsrenditen kommen könnte. Nicht öffentlichen Mietern muss in diesen Ländern häufiger und stärker mit Mietreduktionen, Untervermietungsrecht und Zahlungsaufschüben geholfen werden.
Genauer hinschauen
Wer bedacht, aber dennoch chancenorientiert handeln möchte, der sollte sich Wohnimmobilien in Polen sowie in osteuropäischen Großstädten genauer anschauen. Das aktuelle Marktumfeld bietet antizyklischen Investoren attraktive Renditeaussichten zu kalkulierbaren Risiken. Noch ist die mittel- und osteuropäische Region ein Nischenmarkt, oftmals ist fehlende Marktkenntnis eine Einstiegsbarriere für westliche Investoren. Lokale Immobilienspezialisten schaffen Transparenz und geben Investoren das Vertrauen, sie helfen die Perspektiven zu verstehen und den Mut zum frühzeitigen Handeln.
Denn tatsächlich kann von einem echten Zusammenwachsen Europas erst gesprochen werden, wenn – unter Berücksichtigung ihrer lokalen Besonderheiten – sich Hauptstädte wie Bratislava, Bukarest oder Budapest, aber auch Sekundärstädte wie Pilsen, Budweis oder Košice ganz selbstverständlich auf der Landkarte institutioneller Investoren finden.
(von Paul Hallam, Managing Partner bei GalCap Europe)
Quelle: Börsen-Zeitung (Online), 27.05.2021.