Angesichts der enormen Dynamik der Corona-Pandemie, die – wenn auch in unterschiedlich starkem Ausmaß – mittlerweile praktisch alle Länder dieser Erde erfasst hat, ist schwer vorherzusehen, welche Folgen mittelfristig konkret zu erwarten sind. Die Ausprägungen werden stark vom weiteren Ausbreitungsverlauf abhängig sein und sind wegen der vielschichtigen Wirkungsketten überaus komplex.
Festzuhalten ist zum heutigen Tage, dass der stationäre Handel in Europa zu den am unmittelbarst betroffenen Wirtschaftsbereichen gehört. Bedingt durch länderweite Geschäftsschließungen verzeichnen insbesondere die Luxusbranche, Sportartikelhersteller, Bekleidung sowie Saisonwaren starke Einbußen. Shopping-Center und Fachmarktcenter stehen unter massivem Druck, die wohl zu erwartende Marktbereinigung im Einzelhandel ist letztlich abhängig von der Dauer der Krise. Nachhaltige Umsatzeinbrüche bzw. Ausfälle der Geschäftsraummieter wirken sich jedoch früher oder später auf die Ertragssituation der Immobilien selbst und damit auf Verkehrswerte und die Marktrendite dieser Assets aus.
Onlinehandel gewinnt an Bedeutung
Die massive und lang dauernde Einschränkung der individuellen Bewegungsfreiheit in vielen Ländern Europas fördert zweifellos den schon bisher beständig an Bedeutung gewinnenden Onlinehandel. Praktisch alle Waren, von Möbeln bis zu Gütern des täglichen Bedarfs, werden auf dem Wege des E-Commerce geordert. In den Bereichen Freizeitelektronik, TV- und Videoanbieter sowie bei Streaming-Dienstleistern wird es voraussichtlich starke Zuwächse geben. Selbst bisher E-Commerce-ferne Konsumentenschichten werden sich – der Not gehorchend – verstärkt an den Onlinehandel gewöhnen und dieses geänderte Einkaufsverhalten in Teilen auch nach Ende der Krise beibehalten. Andererseits erinnert man sich nun auch wieder der Vorteile von Nahversorgern in fußläufig erreichbarer Nähe. In der Krise zollt die Gesellschaft den großartigen Leistungen der Einzelhandelsangestellten die sonst oftmals vorenthaltene Anerkennung.
Die Staaten Europas werden in diesen Tagen damit konfrontiert, dass Produktion, Bevorratung und Distribution von unverzichtbaren Gütern – Grundnahrungsmitteln, Pharmazeutika und Ähnlichem – zu wirtschaftspolitischen Kernfragen werden können. Die Auslagerung wesentlicher Güterproduktionen ins weit entfernte Ausland in Verbindung mit störanfälligen Lieferketten kann sich im Krisenfall als problematisch erweisen. Es wäre eine positive Folge der gegenwärtigen Krise, dass zukünftig wieder mehr Produktionskapazitäten an den europäischen Märkten angesiedelt werden.
Dies könnte wiederum in ganz Europa zu einem stark steigenden Bedarf an Lagerflächen führen. Eine große Herausforderung bleibt dabei die Logistik der Last Mile, also des letzten Abschnitts der Lieferkette bis zum Haushalt. Absehbar ist, dass die Konsumenten unter dem Eindruck der aktuellen Krise mit Kurzarbeit, drohenden Freisetzungen und Einkommensverlusten ihr Einkaufsverhalten ändern werden. Ein möglicherweise geringeres verfügbares Einkommen führt zu höherem Sicherheitsdenken und abnehmender Ausgabenfreudigkeit.
Investoren werden kritischer
Am Investmentmarkt ist zu erwarten, dass sich aufgrund der Beschränkung der Kommunikation auf E-Medien, der aktuellen Reisebehinderungen und der allgemein hohen wirtschaftlichen Unsicherheiten Entscheidungen verzögern werden. Bereits angebahnte Retail-Transaktionen werden sich zweifellos verschieben oder überhaupt abgesagt werden. Die Investoren werden Investments in Handelsimmobilien in Zukunft noch kritischer sehen, während andere Assetklassen, wie beispielsweise Logistikimmobilien, verstärkt in den Fokus rücken. Vor dem Hintergrund der weiter gestiegenen Risikoaversion wird die Bedeutung von Core-Objekten in guten Innenstadtlagen – gerne mit Einzelhandelsanteilen – deutlich zunehmen.
Quelle: OIZ, 01.04.2020